Hannes Wader "Wieder eine Nacht" testo

Wieder eine Nacht

Wieder eine Nacht, eine von den viel zu vielenIn der wieder mal der Schlaf nicht kommen willUnd, wie schon so oft, ziehts dich gegen deinen WillenIn die dunklen Straßen ohne ein bestimmtes ZielUnd achtlos stößt du so, als wenn es ein Papierknäuel wärMit den Füßen eine tote Taube vor dir herDie Mädchen stehen wartend an der Mauer bei der BahnSie kennen dich und sprechen dich schon lange nicht mehr anDer Mann dort hält sich tief im Schatten, tut als wenn er liestUnd traut sich erst heraus, wenn dein Schritt verklungen ist

Manche, die dir hier begegnen sind dir ähnlich, sind alleinManche weil sie niemand haben, and're woll'n alleine seinUnd sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbeiUnd verbergen doch ihr Mißtrau'n, ihre Angst nur schlecht dabeiAls wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei

Und in jeder Bar siehst du nachts auf deinen WegenViele fremde Männer, volle Gläser in der HandSie wollen ihren Kopf nicht auf den Fettfleck legenDer, über jedem schäbigen Hotelbett, an der WandVon den Köpfen vieler hundert and'rer Männer stammtDie vor ihnen hier lagen und wie sie dazu verdammtZu trinken, dass die Barfrau ein Wort mit ihnen sprichtMit der sie sich nie zeigen würden, nicht bei TageslichtAuch sie weiß das genau, ohne dass sie es verrätDoch sicher lässt sie keinen von ihnen in ihr Bett

Manche, die dir hier begegnen sind dir ähnlich, sind alleinManche weil sie niemand haben, and're woll'n alleine seinUnd sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbeiUnd verbergen doch ihr Mißtrau'n, ihre Angst nur schlecht dabeiAls wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei

Und beim Pissoir, wo die Stricher wieder wartenUnter Büschen, Bäumen, die du nie so düster sahstDrehst du dich gleich wieder um und meidest diesen GartenWeil du noch von früher her ein Bild vor Augen hastDen schwulen Alten, morgens früh im StiefmütterchenbeetDen Schädel eingeschlagen und auf den Bauch gedrehtSein Hirn schon in der Nacht von den Blumen aufgesaugtLag er ohne Hose da, ganz mager ausgelaugtVon einem Leben voller Elend, wie sein Tod so grauUnd sein Toupet hing noch im Dornbusch, feucht von Blut und Tau

Manche, die dir hier begegnen sind dir ähnlich, sind alleinManche weil sie niemand haben, and're woll'n alleine seinUnd sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbeiUnd verbergen doch ihr Mißtrau'n, ihre Angst nur schlecht dabeiAls wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei

Auch im Wartesaal dösen jetzt betrunk'ne MännerReden zu sich selber, immer nur den selben SatzAuch du setzt dich an den Tisch zu jenem WermutpennerEr findet jede Nacht hier seinen warmen PlatzFrische Narben, tagealter Schmutz verdecken fastAn seinem Handgelenk die Tätowierung aus dem KnastVornüber auf den Tisch gesunken, wie die meisten hierDen Kopf in einer Lache von Rotwein, Rotz und BierDu fragst dich wie er so verbogen, eingekrnickt und krummNoch schlafen kann und du beneidest ihn darum

Manche, die dir hier begegnen sind dir ähnlich, sind alleinManche weil sie niemand haben, and're woll'n alleine seinUnd sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbeiUnd verbergen doch ihr Mißtrau'n, ihre Angst nur schlecht dabeiAls wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei

Du sitzt da und fängst nach und nach selber an zu träumenSiehst dich als kranke Taube, die sich kaum noch regtHast dich, fernab von Luft und Sonne und von hohen BäumenIm Luftschacht eines Hauses zum sterben hingelegtUnd aus den tristen Fensterlöchern über deinem GrabFall'n Auswurf und Gestank pausenlos auf dich herabGeräusche hörst du, während deine Lebenskraft verinntVon denen röcheln, spucken, fluchen nicht die schlimmsten sindDoch ganz hoch über dir kannst du ein helles Viereck seh'nEin Stück Himmel, ein Stück Hoffnung, schon bewegst du deine Zeh'nStehst auf, schlägst mit den Flügeln und erwachst bei dem VersuchDich hochzukämpfen zu dem Fleck, der Leben heißt für dichDer doch nur aussieht wie oft benutztes Taschentuch

Manche, die dir hier begegnen sind dir ähnlich, sind alleinManche weil sie niemand haben, and're woll'n alleine seinUnd sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbeiUnd verbergen doch ihr Mißtrau'n, ihre Angst nur schlecht dabeiAls wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei

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